Ehrlich: Ich vermisse sie — die Maikäfer, Bläulinge, Spatzen, Rebhühner, Feldhasen. Früher sah ich sie häufiger und freute mich über sie.
Beginnt mit dem offensichtlichen Insektensterben – dem Anfang der tierischen Nahrungskette – der große Artenschwund? Wissenschaftler sagen, bei der Artenvielfalt seien die planetaren Grenzen längst überschritten.
Aber was heißt das? Kaum eine der inzwischen ausgestorbenen oder gefährdeten Arten habe ich jemals gesehen. Weder den Schirlings-Wasserfenchel, noch den Wachtelkönig. Würde ich die vermissen? Warum Artenschutz?
Schutz nur für bestimmte Arten?
Geht es um Wildtiere und ‑pflanzen, die für den Menschen attraktiv oder nützlich sind? Orang-Utans unbedingt, Hyänen – muss nicht sein? Bienen und Schmetterlinge ja, Stechmücken und Zecken nein?
Sicher geht es um die Leistungen von Pflanzen und Tieren für Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung, Abbau von Biomasse, als Samenverteiler und Gesundheitspolizei. Und es geht wohl um exotische Tiere und Großsäuger mit ihren Jungen, die wir in immer perfekteren Tierfilmen bewundern – Pandas, Wale, Elefanten und die ganze Serengeti.
Antropozentrismus und “Menschzeitalter”
Artenschutz also nach menschlichem Maß – d.h. „Antropozentrismus“? Dazu gehört dann auch: Immer mehr Menschen auf der Erde – seit 1950 sind es dreimal so viele — verwandeln bisherige Lebensräume wilder Pflanzen und Tiere in Menschenland. Für Nahrung, Nutztiere, Siedlung, Verkehr, Tourismus.
Man kann aber nicht alles haben: eine hocheffiziente Landwirtschaft zur Ernährung und dichte Straßennetze zur Mobilität von immer mehr Menschen, und zugleich große, unberührte Lebensräume für alle Tier- und Pflanzenarten. Konflikte sind unvermeidlich: Fuchs, du hast die Gans gestohlen… und nun der geschützte Wolf. In anderen Kontinenten ist es noch dramatischer: Urwald-Kahlschlag für Weideland in Brasilien, Elefanten attackieren Dörfer in Indien, die Tierpopulation im Schutzgebiet Masai Mara, Kenia, geht im selben Maße zurück, wie die lokale Bevölkerung wächst
Der Mensch macht sich die Erde untertan — das Antropozän („Menschzeit“). Erdgeschichtlich eine kurze Spanne. Mutter Erde hat Mensch, aber das geht vorbei, sie erholt sich wieder…
Oder Natur als Selbstzweck?
Artenschutz also doch eher aus Verantwortung für den gesamten Planeten — Natur als Selbstzweck, Gleichberechtigung aller Lebewesen – „Physiozentrismus“?
Meine Meinung: Bei allem Respekt vor der Natur – dem Antropozentrismus entkommen wir nicht. Seien wir ehrlich: Es geht uns nicht um Natur um ihrer selbst willen. Auch „unberührte Natur“ soll für uns da sein. Und Malariamücken, Tsetse-Fliegen und Giftschlangen sind nicht gleichberechtigt. Bei unseren Nutztieren zeigen wir, wie wenig Achtung wir vor der lebenden Kreatur haben.
Die Natur selbst kennt keinen Artenschutz. Lebensraum, Nahrungskette; Verdrängung, Klima, Katastrophen – das ist das Schicksal der Arten in „freier Wildbahn“. Die Saurier hat nicht der Mensch ausgerottet.
Respekt vor dem Leben
Für mich ist Artenschutz die Selbstverständlichkeit, alle Tiere und Pflanzen nicht ohne „triftigen“ Grund zu stören, zu schädigen, zu zerstören. Es ist der Respekt vor dem Leben. Und je mehr ich darüber weiß, desto größer wird er. Ich will Blühstreifen, weniger Pestizide, Auswilderungen… Und doch vertreibe ich Wespen, töte Stechmücken, vergräme Marder und nutze viel Lebensraum, z.B. auf Straßen.
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