Liebe Freund:innen des Zukunftsrates,
unser 25-jähriges Jubiläum feiern wir wegen der Corona-Pandemie mit einem Jahr Verspätung. Auch wenn dieses 26. Jahr viele weltpolitische Veränderungen mit sich gebracht hat – unsere Zeilen wären vor einem Jahr wahrscheinlich gar nicht so anders ausgefallen.
Im April 1996 wurde der Zukunftsrat Hamburg gegründet mit dem Ziel, die Hamburger Zivilgesellschaft am Entwicklungsprozess der Agenda 21 zu beteiligen, einem globalen Konsens mit der politischen Verpflichtung zur Zusammenarbeit im Bereich von Entwicklung und Umwelt. 2015 wurde die Agenda 21 durch die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 abgelöst. Zusammen mit dem Pariser Klimaabkommen liefert sie auch heute noch eine robuste Orientierung bei den komplexen Herausforderungen.
Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert setzt sich der Zukunftsrat ein für mehr soziale, ökologische und somit auch ökonomische Nachhaltigkeit. Er begleitet politische Prozesse, geht in einen konstruktiv kritischen Austausch mit Politik und Verwaltung und steht dieser seit 25 Jahren beharrlich mahnend und geduldig mit Rat und Tat zur Seite. Darüber hinaus handelt der Zukunftsrat als größte Hamburger zivilgesellschaftliche Nachhaltigkeits-NGO aktiv mit seinen mehr als 100 Mitgliedsorganisationen, fördert das öffentliche Bewusstsein für Nachhaltigkeit in Veranstaltungen und geht Bündnisse mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen ein, um die Vernetzung und den Austausch der Expertise mit der Hamburger Zivilgesellschaft lebendig zu halten.
Mit diesem Jubiläum stellen wir uns natürlich selbstkritische Fragen: Haben wir in dieser Zeit genug erreicht? Bis 2030 sind es nur noch wenige Jahre. Werden wir bis dahin gemeinsam mit der Politik die großen Herausforderungen lösen zu denen sich die Vereinten Nationen bekannt haben?
Diese Fragen müssen wir heute klar verneinen. Trotz eines Vierteljahres ehrenamtlicher Anstrengungen, befindet sich unsere Gesellschaft inmitten nie dagewesener, die Lebensgrundlagen unmittelbar bedrohenden multiplen Krisen und Katastrophen: Lassen wir es zu, dass die Klimaüberhitzung, das Massen-Artensterben und viele für sich selbst stehende und aus der Umweltzerstörung resultierende Folgeerscheinungen, wie Hunger, Flucht, gesellschaftliche Polarisierung, soziale Ungleichheit und Angriffe auf die Demokratie so weiterlaufen, ist auch unsere Zivilisation in Gefahr.
Zu diesen bereits lange von Wissenschaft dargelegten und von der Zivilgesellschaft kritisierten Fehlentwicklungen kommen zwei weitere Krisen, die Corona-Pandemie sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Letzterer führt dazu, dass nicht nur die Energiepolitik Europas umgekrempelt wird, sondern auch die sicherheits- und geopolitischen Linien neu gezogen, die Umgestaltung globaler Lieferketten beschleunigt und die Systemfragen neu aufgeworfen werden. Darüber hinaus ist eine Debatte über unser verinnerlichtes Wertegerüst um Frieden, Freiheit, Sicherheit und Pazifismus angefacht. In diesen Tagen entdecken wir neu den hohen Wert einer freiheitlichen Demokratie.
Welche sind die Fragen der Zukunft, denen wir uns als Zukunftsrat vorausschauend widmen müssen? Und wie gehen wir hiermit mit unseren o.g. Erfahrungen aus der Vergangenheit um?
Gerade hat sich die deutsche und auch die Hamburgische Politik unisono zur Einhaltung des 1,5°C‑Ziels bekannt. Doch das konkrete politische Handeln und die eingeleiteten Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen. Daher denken wir als Zukunftsrat schon heute vorausschauend auf realistische Zukunftsszenarien bei einer zu erwartenden Überschreitung des 1,5°C‑Ziels und anderer planetarer Grenzen: Wie sichern wir die Grundversorgung, wie Nahrung, Hygiene, Wohnen, oder Wärme- und Energieversorgung der Hamburger Bevölkerung? Wie organisieren wir Arbeit neu? Wie gehen wir mit im Ausmaß nie zuvor dagewesenen Hilfsanfragen von Klimageflüchteten um? Wie bewahren wir den sozialen Frieden und die Demokratie bei einem Kollaps der Systeme, dies während einer anhaltenden Vertrauenskrise nicht nur der demokratischen Institutionen, sondern auch der kirchlichen Organisationen? Welche Haltung nehmen wir ein zu zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen im Zuge des Wettbewerbs um Zugang zu Wasser, Lebensmittel und anderer Ressourcen?
Um die Zuspitzung der multiplen Krisen effektiv zu begrenzen und noch kontrollierbar zu halten, sind maximale Anstrengungen für sofort wirksame Maßnahmen unverzichtbar. Das erfordert mutige politische Entscheidungen und ein deutliches Bekenntnis zu einer unausweichlichen gesellschaftlichen Transformation. Ausnahmslos alle Bereiche unseres Zusammenlebens müssen hierfür auf den Prüfstand: unser von Steigerungslogiken beherrschtes Wirtschafts- und Geldsystem, Arbeit, Konsum, Ernährung, Landwirtschaft, Mobilität, Religion, Kultur u.v.m.
Ebenso dringlich ist ein radikales Umlenken finanzieller und personeller Ressourcen weg von Objekten und Aktivitäten, die die Krisen weiterhin befeuern oder ihre Bekämpfung bremsen. Nicht nur Anreize, sondern – angesichts des hohen Konsumniveaus großer Teile der Bevölkerung — auch ein „Weniger“ kann ungeahnte Kräfte zur Verhaltensveränderung entfalten. Je früher, desto friedlicher. Der Zukunftsrat glaubt noch daran, dass der politische Wille dazu vorhanden ist, aber ruft dazu auf, diesen Willen im politischen Handeln klar zum Ausdruck zu bringen.
Gesellschaftliche Veränderungen dieses Ausmaßes werden nur unter breiter Einbeziehung der Zivilgesellschaft gelingen. Daher ist eine frühe, inklusive und breite Bürger:innenbeteiligung geboten, um die Bereitschaft auch unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. Viel Raum – rechtlich, physisch, technologisch und finanziell – ist vonnöten, um die Vielfalt der Ideen voranzutreiben und zu teilen, die dezentral und vernetzt von Handwerk, Kleingewerbe, Kulturschaffenden und den Bürger:innen umgesetzt und sofort wirksam werden können. Es kommt auf die Kreativität und Vielzahl der Maßnahmen an, und darauf, die Möglichkeiten und Lust zum Handeln zu wecken und zu unterstützen. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen kann dabei nur gewinnen!
Es gibt noch so viel ungenutztes Potential, das Begeisterung und Zuversicht für eine lebenswerte Zukunft schaffen kann. Dieses Potential, gepaart mit kultureller Vielfalt, ist dynamisch und grenzenlos, wenn es richtig angefacht wurde. Als Zukunftsrat Hamburg werden wir mit mehr Verve als je zuvor unseren Beitrag dazu leisten, neue Ideen zu verbreiten, Akteur:innen aller Sektoren miteinander zu vernetzen und – wo nötig – die Politik nicht vor kritischen Stimmen schonen.
Helena Peltonen und Frank Schier
Sprecher:innen des Zukunftsrat Hamburg