Juli, Ferienzeit. Die Corona-Krise behindert zwar, ist aber erst recht Grund für Urlaub. Wer sich dabei wie Hape Kerkeling Selbsterkenntnis zu Fuß erpilgert, ist ein Öko-Held. Auch, wer mit Rad und Zelt in Mecklenburg unterwegs ist. Aber wir anderen alle?
Reisen und Klimaschutz
Betrachtet man Reisen durch die Brille des Klimaschutzes, sieht man schwarz: Um eine Erderwärmung von 1,5 – 2 Grad einzuhalten, darf man nur 1–2 t CO2 pro Jahr freisetzen. Das tut aber schon – grob gerechnet – eine Flugreise auf die Kanaren, eine einwöchige Mittelmeerkreuzfahrt oder die durchschnittliche private Jahres-Inanspruchnahme von Auto, Bus und Bahn. Solange Flugzeuge Kerosin, Schiffe Schweröl und Autos Benzin / Diesel tanken, sind Reisen Klimakiller. Zurzeit liegt unser durchschnittlicher CO2-Jahresausstoß übrigens bei ca. 10 t pro Person. Für Besserverdiener: ein Flug nach Neuseeland bei 10 — 12 t.
Also Verzicht? Bleibe im Lande, nähre dich redlich und riskiere keine Infektionen?
Nachhaltiger Tourismus
Es gibt noch andere Brillen für das Reisen:
Die Bedeutung für das Zielland z.B. In seinen „nachhaltigen Entwicklungszielen“ von 2015 fordert die UNO einen „nachhaltigen Tourismus“, der im Zielland Arbeitsplätze schafft und die lokale Kultur und Produktion fördert. Länder wie Costa Rica und Botswana sperren den Massentourismus weitgehend aus und schützen ihre Naturschätze. Andere (z.B. die Malediven) liefern sich dem Milliardengeschäft Tourismus aus. Für die meisten ärmeren außereuropäischen Zielländer bzw. ihre Bevölkerungsmehrheit hat die Invasion der Touristen oft mehr Nach- als Vorteile: mehr Umweltzerstörung, Kulturbedrohung und Fremdbestimmung, andererseits Arbeitsplätze, Deviseneinnahmen und Infrastruktur. Wer eine große all-inclusive-Anlage bucht, wird im Fischerdorf am Ziel kaum einheimische Touristen-Lokale finden. Auf Mykonos diktierte vor der Corona-Krise die Tide der Kreuzfahrer den Lebensrhythmus der Stadt. Der Massentourismus zerstört, was der Einzeltourist sucht.
Reisen bildet
Und dennoch – eine neue Brille — : Reisen bildet, Reisen erweitert den eigenen Horizont. Reisen gibt Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu machen, andere Kulturen zu erfahren, fremden Menschen zu begegnen. Fördert Erkenntnis und Verständnis, die Korrektur von Vorurteilen. Na gut, als Möglichkeit jedenfalls.
Meine Meinung
Erholung und Spaß, Strand und Sonnenbräune sind ziemlich nah, sind auch ohne größere Klimaschäden und ohne den Neokolonialismus des Massentourismus zu bekommen. Fernreisen sollten dagegen seltene kostbare persönliche Erlebnisse sein, deren Wert mit Vorbereitung, Offenheit und Lernbereitschaft wächst. Das „forum anders reisen“ in Hamburg vermittelt z.B. solche nachhaltigen Urlaube.
Aber die CO2-Emissionen! Ich bekenne: Für das gute Gewissen ließ ich mich vor Jahren für einen tollen Costa Rica-Urlaub auf den Ablasshandel mit der „CO2-Kompensation“ ein: Für die horrenden 4,7 t CO2 pro Person bekam die Organisation „Atmosfair“ 108 €, mit denen weltweit CO2-sparende Projekte finanziert werden – zertifiziert nach dem Klimaschutz-Protokoll von Kyoto. Aber ein gutes Gewissen habe ich trotzdem nicht. Denn wer kann sich solchen Luxus eigentlich leisten? Aber ist die Gleichung „viel CO2 ausstoßen = viel zahlen“ falsch? Die nächste Fernreise muss jedenfalls warten. Erst einmal pilgern? — etwa zu Fuß?
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