Erfahrungen aus der Corona-Krise, gültig auch für die Nachhaltigkeits-Transformation:
Alles freiwillig
Nachhaltiger, klimafreundlicher leben? Bitteschön, kein Problem. In der Stadt Fahrrad fahren, die Heizung auf 20 Grad absenken, weniger Fleisch essen usw. Jede*r kennt das. Nichts hindert, es zu tun. Nur Bequemlichkeit, Gewohnheit, die Lust darauf, der Spaß daran.
Auch Unternehmen können – außer in der Corona-Krise vielleicht — nachhaltiger produzieren oder dienstleisten. Rohstoffe effizienter nutzen, weniger Abfall produzieren, Energie einsparen, auf Solar- und Windstrom setzen usw. Niemand hält sie davon ab. Aber sie müssten sich mit neuen Techniken und Verfahren, mit Langfristperspektiven, Förderanträgen und Steuergesetzen auseinandersetzen. Es geht ja auch um Kosten, Gewinnerwartungen und Wettbewerbsfähigkeit.
Was habe ich davon, freiwillig auf Komfort zu verzichten, Gewohnheiten aufzugeben, mir Arbeit zu machen, Risiken einzugehen? Z.B. für 800 km mehrmals zeitraubend elektrisch zu tanken statt 1 mal kurz Benzin? Nur das erhabene Gefühl eines Pioniers? Manchmal auch die Erfahrung, mit dem Fahrrad zuverlässiger und gesünder ans Ziel zu kommen als mit Auto oder Bus. Oder den Genuss neuer geschmackvoller Gerichte ohne Fleisch. Oder die Ersparnis von Energie- und Rohstoffkosten. Oder eine ganz neue Motivation der Mitarbeiter*innen und neue Absatzchancen. Aber: Ich muss dazu etwas ändern, muss mich bewegen, muss Neues wagen.
Und meine Nachbarn und Konkurrenten? Die sparen sich das. Die brauchen sich nicht zu bewegen. Ist ja freiwillig.
aber wirksam?
Perspektivwechsel: Staat und Politik sollten drohende Probleme für die Bevölkerung frühzeitig erkennen. Und angehen — so wähler- und freiheitsfreundlich wie möglich und so wirksam wie nötig, um das Problem zu lösen.
Vom Gewicht des Problems hängt es ab, wie wirksam Politik es zu lösen versucht. Besonders Wichtiges stellt sie unter Strafrechtsschutz. Um die Bevölkerung vor tödlichen Infektionen zu schützen, ordnet sie Quarantänen an, erlässt Impfpflichten, lässt Tiere töten. Um Verkehrsunfällen vorzubeugen, unterwirft sie alle Verkehrsteilnehmer*innen Regeln, deren Missachtung sanktioniert wird. Das Gemeinwohl beschränkt individuelle Freiheit.
Und wie wichtig sind der Politik Klimawandel, Artenschutz, die Erschöpfung endlicher Rohstoffe, die ökologischen und sozialen Folgen unserer Lebensweise für Menschen im „globalen Süden“, Nachhaltigkeit also? Ein bisschen wichtig: Rahmenbedingungen werden gesetzt. Es erscheint vernünftig, sich freiwillig nach ihnen zu richten. Lenken statt verbieten. Preisanreize z.B.: Flüge etwas teurer, Bahnfahren etwas billiger. Aber wer eben lieber fliegt von Hamburg nach Frankfurt und es sich leisten kann? Klimaschutz? Ist doch freiwillig.
“Ordnungsrecht”
Nein, ich will gezwungen werden. Durch bindende Vorgaben für alle – „Ordnungsrecht“ heißt das. Sonst bleibt offen, ob das Problem überhaupt gelöst wird. Ich will nicht den Verzichts-Pionier spielen, wenn andere sich um die drohenden Probleme nicht scheren müssen. Ich hätte gerne ein Verbot von Inlandsflügen, ein Veggiday-Gebot für Kantinen, PKW-Beschränkungen für die Innenstadt, aber auch ein Verbot für Müllexporte und einiges mehr — für alle gleich (mit wenigen Ausnahmen). Freiwilligkeit als Prinzip ist nicht zielführend, es ist zu oft ein mutloses „Kneifen“ zulasten der Zukunft und späterer Generationen.
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