Da strengt sich der Hamburger Senat so an, sich vor den Wahlen als Klimaschutz-Primus zu präsentieren – doch die Kritiker sagen ungerührt: ist zu wenig, zu vage, zu mutlos. Aber warum?
Die Politik – Bundesregierung wie Senat – verfolgt die Methode der prozentualen Reduktion der jährlichen CO2-Emissionen bezogen auf das Basisjahr 1990: ‑55% bis 2030, ‑95% bis 2050. Wie sich diese Reduktionen im globalen Maßstab auf die Erderwärmung und auf die Erreichung des 1,5–2‑Grad-Ziels von Paris auswirken, sagt der neue Klimaplan nicht.
Das CO2-Restbudget
Die Klimaforschung, insbesondere das IPCC, rechnet anders: Sie geht von einem CO2-Restbudget aus: Wegen der langfristigen Aufsummierung der erderwärmenden CO2-Emissionen sei allein entscheidend, was die Welt insgesamt an CO2 noch emittieren darf, um die Erderwärmung auf 1,5 – 2 Grad zu begrenzen. Mit der aktuellen jährlichen Emissionsmenge lässt sich leicht ausrechnen, wie lange das Restbudget reicht. Ergebnisse:
Die Welt
Das IPCC — der “Weltklimarat” — berechnete für die Welt als ganze, dass zur Einhaltung des 1,5‑Grad-Ziels mit 67% Wahrscheinlichkeit Ende 2017 noch ein CO2-Restbudget von 420 Mrd t CO2 bestand — allerdings mit einigen Unsicherheiten. Bei jährlichen globalen Emissionen von ca. 42 Mrd. t CO2 stehen ab 2020 also nur noch ca. 336 Mrd. t CO2 zur Verfügung. Bei Fortsetzung der gegenwärtigen globalen Emissionen ist dieses Restbudget in 8 Jahren, also 2028, aufgebraucht. Zur Einhaltung einer Erderwärmung von 1,75 Grad dürften ab 2020 noch insgesamt ca. 716 Mrd t CO2 emittiert werden, die 2037 aufgebraucht wären. Zur Einhaltung des 2 Grad-Ziels stünden noch ca. 1086 Mrd. t CO2 zur Verfügung, aufgebraucht 2045.
Deutschland
Aus den Daten des IPCC errechnete der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen SRU das CO2-Restbudget für Deutschland. Grundlage war der Anteil der deutschen Bevölkerung an der Weltbevölkerung, also die Pro-Kopf-Emission. Frühere Emissionnen wurden nicht berücksichtigt. Es wurde die Einhaltung des 1,75 Grad-Ziels mit 67% Wahrscheinlichkeit angesetzt. Danach hat Deutschland ab 2020 noch ca. 6,6 Mrd. t CO2 zur Verfügung. Bei der gegenwärtigen jährlichen Emission von ca. 800 Mio t CO2 reicht dieses Restbudget bis 2028.
Hamburg
Aus dem Restbudget für Deutschland lässt sich nach dem Anteil der Hamburger Einwohnerzahl an der deutschen Bevölkerung das CO2-Restbudget für die Stadt berechnen: Zur Einhaltung des 1,75-Grad-Ziels stehen Hamburg ab 2020 noch knapp 150 Mio Tonnen CO2 zur Verfügung. Auf der Basis der zuletzt für 2017 berechneten 16,4 Mio t Emissionen pro Jahr wäre das Restbudget in 9 Jahren, also 2029 verbraucht. Dieses Ergebnis strebt der Klimaplan erst 2050 an
Das Restbudget bis 2050 strecken
Soll das CO2-Restbudget jedoch tatsächlich bis 2050 reichen, dürfen ab 2020 durchschnittlich nur noch 5 Mio t CO2 pro Jahr emittiert werden: 150 Mio t geteilt durch 30 Jahre. Je später diese Reduzierung von 16,4 Mio t auf 5 Mio t pro Jahr erreicht wird, desto stärker muss die Emissionsmenge in der Dekade vor 2050 die 5 Mio t / Jahr unterschreiten – bzw. desto früher ist das Budget bereits doch vor 2050 aufgebraucht. Nach dem Klimaplan wäre 2030 erst eine Jahres-Emission von 9,3 Mio t erreicht, also noch knapp das Doppelte der nach dem Budget-Ansatz höchstens zu emittierenden 5 Mio t.
Diese drastische Anforderung des CO2-Budget-Ansatzes zeigt die Unzulänglichkeit des neuen Hamburger Klimaplans: Hamburg wird mit einer linearen CO2-Emissionsminderung von ‑55% 2030 gegenüber 1990 die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,75 Grad deutlich verfehlen.
Alle Klimagase einbeziehen
Und es kommt noch schlimmer: Das vom Klimaplan ausschließlich betrachtete CO2 aus der Energieproduktion ist nur eines von mehreren Klimagasen, die die Erde erwärmen. Das CO2 aus chemischen Prozessen z.B. bei der Zementherstellung sowie die Klimagase Methan und Lachgas kommen hinzu. Sie machten 2016 immerhin 4% der gesamten Hamburger Treibhausgase aus. Von der CO2-Statistik gar nicht erfasst werden die Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft, aus dem internationalen Flugverkehr und die „F‑Gase“. Das Gas Sulfuryldifluorid, ein Insektenschutzmittel zur Begasung von Holzfrachten, ist 4090mal klimaschädlicher als CO2. Allein die 2019 im Hamburger Hafen einsetzte Menge ergibt 830.000 t CO2-Äquivalente und entspricht damit noch einmal zusätzlichen ca. 5% der Hamburger Treibhausgase. Der Klimaplan legt seinen Berechnungen also nur höchstens 90% der tatsächlich erderwärmenden Emissionen Hamburgs zugrunde.
Fazit
Die Fortführung des Klimaplans von 2015 mag mit der Anhebung der Reduktionsziele für 2030 und 2050 ehrgeizig erscheinen. Nach den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft ist sie jedoch immer noch unzureichend und kein Beitrag zu den Klimazielen von Paris. Politik orientiert sich am – vermutet – Möglichen, Wissenschaft am Notwendigen. Politik hat die Aufgabe, beides zur Deckung zu bringen.
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