Die Fortschritte bei der Energiewende sind ungleich verteilt: Der verbrauchte Strom wurde 2019 schon zu 42,1% aus erneuerbaren Energien erzeugt, die Wärme für Wohnraum und Industrie nur zu 14,5%. Und die Energie im Verkehr sogar nur zu 5,6%. Aber alle drei Sektoren sollen 2050 nahezu CO2-frei sein.
Kann man sich da nicht gegenseitig helfen? Strom ist gut transportierbar, aber schlecht zu speichern; bei der Wärme ist es umgekehrt. Und Verkehr funktioniert ja auch elektrisch.
Die gemeinsame Betrachtung der Sektoren richtet sich am Klassenprimus aus, am Strom aus Windkraft und Solarenergie.
Windkraft abgeregelt — welche eine Verschwendung
Der aber ist unzuverlässig: Ausfall bei Flaute und Dunkelheit, Überproduktion bei Starkwind und Sonnenschein – abhängig von Netz und Nachfrage. Im 1. Quartal 2019 wurden zum Schutz der Stromnetze Windräder „abgeregelt“, also stillgelegt, die sonst eine Strommenge von 3,23 Mrd. kWh produziert hätten – genug für 6 Mill. E‑Autos im Quartal.
Welch eine Verschwendung! Aber es gibt Lösungen. Bei Sonne und Wind: die Stromnachfrage anpassen, z.B. geeignete Verbräuche und Industrieprozesse in diese Zeit legen; das Netz ausbauen, um Windstrom z.B. nach Süddeutschland abzutransportieren; mit dem Überschussstrom vor Ort netzunabhängig Batterien laden oder über Elektrolyse das Speichergas Wasserstoff herstellen.
Das funktioniert auch umgekehrt. Bei Flaute und Finsternis: die Nachfrage durch „Lastmanagement“ senken; übers Netz Strom aus Sonnen- und Windgebieten heranführen; aus Batterien und Wasserstoff über Brennstoffzellen Strom ins Netz einspeisen.
Von Strom zu Wärme und Verkehr — und zurück
Und wo ist die Sektorkopplung? Für Experten: Wärmepumpen brauchen Strom — „power-to-heat“. Solarthermie (Wärme) kann ihn ersetzen. Batterien (Strom) bewegen Elektroautos (Verkehr) und können an der Aufladestation Schwankungen der Stromnachfrage ausgleichen. Wasserstoff durch Elektrolyse (Strom) – „power-to-gas“ — hilft der Industrie z.B. bei der Stahl- und Düngerherstellung. Und er ist Basis für Methangas zur Raumwärme und für synthetische Kraftstoffe (Verkehr) – „power-to-liquid“. Schließlich kann Wind- und Sonnenstrom durch Kraft-Wärme-Kopplung aus zuverlässigeren Biogas-Blockheizkraftwerken ergänzt werden. Alles Sektorkopplung.
Vieles ist möglich, vieles noch theoretisch. Zum einen muss nicht nur der Anteil an grünem Strom extrem steigen, sondern auch die Stromproduktion insgesamt. Das Umweltbundesamt fordert bis 2050 einen Zubau an Windkraft- / Photovoltaik-Leistung um 7,7 – 10 Gigawatt pro Jahr. 2019 betrug er 5,5 GW.
Ohne Sektorkopplung keine Klimaneutralität 2050
Zum anderen muss auch bei den Finanzen die Sektorkopplung einziehen. Mit einem einheitlichen CO2-Preis und/oder einer integrierten Besteuerung und Abgabenlast. Solange z.B. Elektrolyseure als Stromverbraucher selbst hohe Abgaben verursachen, sind sie zu teuer.
Hamburg und Schleswig-Holstein erforschen seit Dezember 2016 in ihrem Projekt „NEW 4.0“ (Norddeutsche Energiewende) verschiedene Aspekte der Sektorkopplung – vom Lastmanagement über digitale Steuerungen bis zu Umwandlungsverlusten und Akzeptanz.
Es ist nun Sache der Politik, die Chancen zu nutzen, die Rahmenbedingungen zu vereinheitlichen und die Wirtschaftsinitiativen zu fördern. Ohne effiziente Sektorkopplung wird das Klimaziel 2050 verfehlt. Und wir Verbraucher*innen müssen uns wohl doch an smart homes und noch mehr Masten gewöhnen.
Erich Westendarp auf Pixabay