Die ökologische Krise hat einen kritischen Punkt erreicht. Während Waldbrände, Dürren und Überflutungen uns die Realität des Klimawandels täglich vor Augen führen, fehlt es weiterhin an entschlossenem Handeln. In meinem Diskussionspapier ‘12 Grundirrtümer der ökologischen Bewegung’ hinterfrage ich grundlegende Narrative, die eine tiefgreifende Transformation unserer Gesellschaft möglicherweise mehr behindern als fördern.
„Ich will, dass ihr in Panik geratet” – war Greta Thunberg im Recht?
Im Januar 2019 stand Greta Thunberg vor den mächtigsten Menschen der Welt auf dem Podium des Weltwirtschaftsforums in Davos. Mit entschlossener Stimme sagte sie den Satz, der seither polarisiert und immer wieder diskutiert wird: „I want you to panic.“
Fünf Jahre später frage ich mich: Hatte sie Recht?
Ja, sie hatte Recht. Schon damals hätten wir ihren Hilferuf ernst nehmen und alarmiert und entschlossen an der Lösung der Probleme arbeiten sollen. Bis heute sind wir jedoch nicht wirklich aufgewacht. Die Empörung über das voranschreitende Artensterben, die systematische Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und das eklatante Versagen der Politik, notwendige Veränderungen einzuleiten, bleibt verhalten. Vor allem wiegen wir uns in der gefährlichen Illusion, noch Zeit zu haben – Zeit, die uns längst davonläuft.
Wir können es uns nicht mehr leisten, in alten Denkstrukturen zu verharren. Heute bin ich überzeugt: Auch die ökologische Bewegung muss sich selbstkritisch hinterfragen, ob sie auf dem richtigen Weg ist, wenn wir die Transformation wirklich erreichen wollen.
Warum ich dieses Papier geschrieben habe
In meinem Diskussionspapier stelle ich zwölf weitverbreitete Annahmen in Frage, die möglicherweise kontraproduktiv wirken. Es geht mir ausdrücklich nicht darum, das unermüdliche Engagement vieler zu kritisieren. Im Gegenteil: Ich habe größten Respekt vor all jenen, die sich tagtäglich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen.
Doch ich frage mich: Warum schaffen wir es trotzdem nicht, die Mehrheit der Menschen zu mobilisieren? Warum gelingt es uns nicht, die Überlebensinstinkte der Menschen zu aktivieren?
Meine zentrale These lautet: Wir gehen von falschen Voraussetzungen aus. Und das betrifft alle Milieus, ob progressiv oder konservativ, städtisch oder ländlich, jung oder alt. Diese Annahmen sind nicht nur problematisch, weil sie uns täuschen – sie schaffen auch Komfortzonen, die beruhigen, statt zu mobilisieren. Manche unserer Erzählungen stehen einer ehrlichen, mutigen und wirksamen Kommunikation sogar aktiv im Wege.
Einblick in die zwölf Grundirrtümer
In meinem Papier analysiere ich zwölf zentrale Narrative, die in der ökologischen Bewegung weit verbreitet sind und unsere Kommunikation prägen. Dabei stelle ich unter anderem folgende Überzeugungen in Frage:
- „Alle Menschen haben das Ausmaß der Klimakatastrophe verstanden.“ Diese fundamentale Fehleinschätzung bildet die Grundlage vieler weiterer Probleme. In unzähligen Gesprächen mit Menschen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wurde mir deutlich: Die meisten haben die Dimension des Artensterbens und der Klimakatastrophe sowie die Dringlichkeit des Handelns nicht verinnerlicht.
- „Wir müssen die Menschen mit positiven Geschichten begeistern, statt mit Katastrophenszenarien zu verschrecken.“ Menschen fürchten primär Veränderungen – doch genau diese Veränderungen sind jetzt unvermeidlich. Ohnmacht entsteht nicht durch Warnungen, sondern durch Untätigkeit und kollektive Realitätsverweigerung.
- „Verbote sind kontraproduktiv. Der Wandel wird nur durch freiwillige Eigenverantwortung gelingen.“ Ein freiwilliger Verzicht auf klimaschädliche Verhaltensweisen hat seit Beginn der Industrialisierung selten funktioniert. Was spricht gegen ein Verbot von menschenfeindlichen Handlungen und zerstörerischen Wirtschaftspraktiken?
- „Wir dürfen andere Menschen nicht moralisieren.“ In der Umweltbewegung hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass moralische Appelle Menschen abstoßen, statt sie zu motivieren. Doch diese Annahme verkennt, dass moralische Überzeugungen nicht nur legitim, sondern oft notwendig sind, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Das historische Missverständnis: Ökos vs. Gesellschaft
Um unsere heutige Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Entstehung der Umweltbewegung werfen. Seit Beginn der Industrialisierung wurden Umweltaktive vom Großteil der Gesellschaft als eine Randgruppe von „linken Spinnern“ und „technologiefeindlichen Zukunftsverhinderern” abgewertet. Lange Zeit stand auf der einen Seite die wachsende Wirtschaft, die den Wohlstand der Menschen mehrte, gegen eine kleine Gruppe ökologischer Bewegung, die sich für den Erhalt der Natur einsetzte.
Diese Aufgabenverteilung sollte längst überholt sein. Unsere planetaren Grenzen sind nicht nur theoretisch erreicht, sondern teilweise bereits überschritten. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen dringend erkennen, dass Umwelt- und Klimaschutz eine Überlebensfrage für alle ist – nicht bloß eine Aufgabe „für die Ökos“.
Hier müssen auch Umweltorganisationen und ‑initiativen, die sich zunehmend im politischen Establishment bewegen, ihre Rollen kritisch reflektieren. Die Grenze zwischen notwendiger Kooperation und dem Verlust ihrer ursprünglichen Vision ist schmal. Nur wer seine Werte und Ziele konsequent im Blick behält, kann glaubwürdig für echten Wandel einstehen. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, konstruktiv mit der Politik zusammenzuarbeiten, ohne sich zu stark anzupassen oder als Alibi zu dienen und die eigene Unabhängigkeit zu gefährden.
Ein damit unmittelbar verbundenes Problem ist, dass wir die Bewältigung ökologischer Katastrophen oft mit anderen Krisen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen vergleichen, wie etwa der Abschaffung der Sklaverei oder der Emanzipation der Frauen. Auch die Psychologie und Soziologie stützen sich in ihren Theorien häufig auf den Verlauf solcher großen gesellschaftlichen Veränderungen. Im Gegensatz zu den heutigen Transformationsprozessen waren diese wichtigen Entwicklungen jedoch nicht zeitlich begrenzt, auch wenn sie mit erheblichen Leiden verbunden waren.
Die Kommunikationsfalle
In meiner langjährigen Tätigkeit als Kommunikations- und Marketingexperte habe ich festgestellt, dass die Umweltkommunikation oft unspezifisch und undifferenziert bleibt. Erfolgreiche Kommunikation erfordert eine zielgruppenspezifische Ansprache, die wir häufig vernachlässigen. Wir müssen die Meinungsmachenden in Politik, Kultur und Wirtschaft informieren und gewinnen – Influence the influencers! Und wir müssen je nach Zielgruppe von schonungslos offen bis sensibel einfühlsam kommunizieren.
Ein Aufruf zu mehr Mut und Ehrlichkeit
Ich schreibe dieses Papier nicht, um zu demotivieren – im Gegenteil, mein Ziel ist es, Mut zu machen. Mut, Dinge neu zu denken. Mut, sich einzumischen. Mut, Wege zu verlassen, die schon lange nicht mehr funktionieren.
Lasst uns gemeinsam eine neue Art des Dialogs finden. Eine, die sich nicht auf vermeintliche Harmonie verlässt, sondern auf ehrliche Auseinandersetzung. Eine, die Empörung über das Verspielen der Lebensgrundlagen unserer Kinder und eine sozial ungerechte Welt nicht tabuisiert, sondern als Ausdruck lebendiger Verantwortung anerkennt.
Die Umweltkommunikation muss klar, faktenbasiert und unmissverständlich sein. Wir brauchen mutige Krisen- und Katastrophenstäbe, die regionale, nationale und globale Notfallpläne entwickeln. Dies ist kein Alarmismus, sondern verantwortungsbewusstes Handeln für unsere Lebensgrundlagen und die Zukunft unserer Kinder.
Und lasst uns über den Tellerrand hinausblicken und unsere intellektuelle Ökoblase verlassen. Es ist entscheidend, die vielfältigen Lebensrealitäten und Bedürfnisse der Menschen außerhalb unserer gewohnten Kreise zu verstehen und anzuerkennen. Ihre Verlustängste sollten ernst genommen werden. Gleichzeitig müssen wir die Politik dazu drängen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die gemeinsame Aufgabe besteht darin, den Menschen ungeschönt, aber dennoch hoffnungsvoll zu vermitteln, dass eine umfassende Transformation unausweichlich ist und welche Konsequenzen es für ihr Leben hat, wenn wir uns diesem Wandel verschließen.
Kopf hoch und los!
Willkommen zum Dialog
Ich habe mit diesem Diskussionspapier bewusst einen kritischen Impuls setzen wollen. Die identifizierten Grundirrtümer sollen zum Nachdenken anregen und neue Perspektiven eröffnen. Das Dokument mit den zwölf ausführlich analysierten Annahmen soll ausdrücklich zu einer konstruktiven und kritischen Diskussion anregen.
Um den erforderlichen Wandel erfolgreich zu gestalten, werden wir voraussichtlich eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsansätze gleichzeitig benötigen. Dieses Papier ist ein Beitrag zu dieser Vielfalt – nicht die eine Lösung.
Download: Diskussionspapier “12 Grundirrtümer der ökologischen Bewegung”
Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass Krisen Gesellschaften zusammenschweißen können, wenn sie gemeinsam handeln. Heute brauchen wir ein kollektives Bekenntnis zur Sicherung des Lebens und der Zukunft unserer Kinder. Nur durch diese gemeinsame Anstrengung können wir die dringend notwendigen Veränderungen umsetzen.
Ich freue mich auf einen offenen, auch kontroversen Dialog. Gedanken, Kritik und Anregungen sind herzlich willkommen.
Kontakt: Frank Schier
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Dieser Blogbeitrag sowie das Thesenpapier „12 Grundirrtümer der ökologischen Bewegung“ spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wider und repräsentieren nicht die offizielle Position des Zukunftsrates Hamburg. Der Zukunftsrat Hamburg setzt sich jedoch aktiv für den Austausch über verschiedene Perspektiven und Themen im Bereich Nachhaltigkeit ein.
Über den Autor
Frank Schier, 57, geboren in Mainz, ist Vater zweier erwachsener Kinder. Nach einer Ausbildung zum Heizungsbauer fand er autodidaktisch seinen Weg in die Welt des Werbefilms. Vor 25 Jahren gründete eine eigene Multimedia-Agentur, die sich gemeinsam mit seinem späteren Geschäftspartner zu einer Full-Service-Agentur SCHIERRIEGER entwickelte. Seit über 13 Jahren liegt deren Spezialisierung auf Nachhaltigkeitskommunikation. Seit 2017 ist SCHIERRIEGER Mitglied des Zukunftsrats Hamburg, und seit 2018 bekleidet Frank Schier die Position des Sprechers des Zukunftsrats. In dieser Rolle widmet er sich Themen wie Klimakommunikation, Kreislaufwirtschaft, Energie, Stadtentwicklung und Transformation. Darüber hinaus vertritt er den Zukunftsrat im Nachhaltigkeitsforum Hamburg seit 2017.

Veranstaltungshinweis zum Thema
Quo Vadis sozial-ökologische Transformation — Welche Narrative braucht der Klimaschutz wirklich?
Klima-Stammtisch der AG Klima des NFH am 24.04.2025, 08.00−09.30 Uhr via Zoom.
Wie gelingt uns die sozial-ökologische Transformation bei dem aktuellen Gegenwind? Und kommen wir mit den derzeit gängigen Narrativen tatsächlich unserem Ziel näher, das Schlimmste der Klimakatastrophe einzudämmen? Falls nicht, welche alternativen Ansätze und Narrative müssten wir anstelle dessen entwickeln? Und wie bekommen wir sie in die Umsetzung?
Dies diskutieren Lea Dohm (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit & Psychologists for Future) und Frank Schier (Kommunikationsexperte, Zukunftsrat Hamburg) mit dem Publikum. Das konstruktive Streitgespräch wird von Dr. Kai Hünemörder (Leiter des ZEWU der Handwerkskammer Hamburg) moderiert. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Weitere Informationen finden Sie hier.