Von Angelika Ohse.
Im Grundgesetz ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verankert, und der Staat ist beauftragt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Trotzdem sind Frauen in unserer Gesellschaft benachteiligt, ihre Kompetenzen und Leistungen werden überwiegend nicht gesehen und nicht gewürdigt. Einen wesentlichen Anteil daran hat unsere Sprache, weil sie Frauen weitgehend unsichtbar macht und nicht einbezieht.
Sprache beeinflusst, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, sie prägt unser Bewusstsein.
Das „generische Maskulinum“ ist die grammatisch männliche Formulierung, mit der Personen aller Geschlechtsidentitäten gemeint sein sollen. Es wird in der deutschen Sprache sehr häufig verwendet.
Beispiele: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, „Die Sendung gefiel den Zuschauern“, „Jeder, der raucht, kann früh sterben“, „Jeder, der schon schwanger war, weiß, dass … “.
Forschungsergebnisse belegen, dass Texte, die das generische Maskulinum verwenden, meist nicht als neutral verstanden werden, sondern als Aussagen, die auf ein männliches Geschlecht verweisen.
Test: Das Chirurgen-Rätsel:
Ein Vater und sein Sohn haben einen Autounfall. Dabei wird der Vater getötet, das Kind schwer verletzt. Als das Kind in den Operationssaal gebracht wird, sagt einer der Chirurgen: «Ich kann diese Operation nicht durchführen, dieser Junge ist mein Sohn.» Wie ist das möglich?
Lösung: Es ist die Mutter
Die Verwendung des generischen Maskulinums bewirkt nicht nur, dass in diesen Formulierungen die „mitgemeinten“ nicht-männlichen Personen unsichtbar bleiben, sondern auch, dass sich weibliche Personen weniger gemeint und einbezogen fühlen.
Beispiel: Die Formulierung „Die Nobelpreisträger“ macht die ausgezeichneten Frauen unsichtbar und verschleiert, dass auch Frauen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Bei dieser Formulierung stellen sich die meisten Menschen Männer vor. Das hat zur Folge, dass viele annehmen, Frauen seien nicht in der Lage, eine Leistung zu erbringen, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Diese Annahme widerspricht jedoch der Realität.
Beispiel: Bei Berufsbezeichnungen, in denen Frauen nicht genannt werden, z.B. „Ingenieur“, entsteht im Allgemeinen der Eindruck, dass Frauen diese Berufe nicht ausüben. Auch wenn sie das Talent haben, einen solchen Beruf auszuüben, ziehen Schülerinnen diese Berufe für sich selbst darum weniger in Betracht als Schüler. Wird dagegen von „Ingenieuren und Ingenieurinnen“ gesprochen, dann wird sichtbar, dass es sich auch um eine Berufsmöglichkeit für Frauen handelt, und die Schülerinnen fühlen sich einbezogen. So wird durch das generische Maskulinum also die Berufswahl von Mädchen eingeengt. Jungen hindert die Bezeichnung, in der auch Frauen genannt werden, nicht daran, einen
solchen Beruf zu wählen.
Darum ist es sehr wichtig, dass in der Sprache kein Geschlecht ausgeschlossen wird, d.h. „geschlechtergerechte Sprache“ verwendet wird.
Geschlechtergerechte Sprache kann durch unterschiedliche Formen erreicht werden:
- Verwenden von Paarformulierungen: Nennen der männlichen und der weiblichen Form, z.B. „Lehrer und Lehrerinnen“ oder „Lehrerinnen und Lehrer“. Die dadurch bedingte Verlängerung von Texten empfinden viele als umständlich. Sie befürchten, dass Texte dadurch schwerer verständlich sind. Mehrere Studien (z.B. Braun et al. (2007)) belegen jedoch, dass geschlechtergerechte Sprache keinen negativen Einfluss auf die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten hat. In der Paarformulierung sind allerdings nicht-binäre Personen ausgeschlossen.
- Verwenden geschlechtsneutraler Personenbezeichnungen und Umschreibungen, z.B. „Lehrkräfte“ statt Lehrer“. Allerdings gibt es nicht für alle Personenbezeichnungen geschlechtsneutrale Worte (z.B. „Gast“).
- Verwenden geschlechtsneutraler Umschreibungen, z.B. „Personen, die ein Handwerk ausüben“ statt „Handwerker“.
- Verwenden von Partizip-Präsens-Formen, z.B. „Teilnehmende“ statt „Teilnehmer“, „Studierende“ statt „Studenten“.
- Verwenden von „/“ oder Binnen‑I in Schrift-Texten, z.B. „LehrerInnen“ statt „Lehrer“. Gesprochen wird dies durch Paarformulierungen, d.h. „Lehrerinnen und Lehrer“ (vgl. 1). In dieser Formulierung bleiben nicht-binäre Personen allerdings ausgeschlossen.
- Verwenden des Unterstrichs, Doppelpunkts oder Sternchens in Schrift-Texten, z.B. „Lehrer_innen“, „Lehrer:innen“, Lehrer*innen“.
Gesprochen werden sie durch eine kleine Pause im Sprachfluss – wie in „Spiegelei“. Diese Formen schließen alle möglichen Geschlechtsidentitäten ein. (Leider werden sie häufig als Betonung der nicht-binären Geschlechtsidentitäten missverstanden.) Weil es mehrere andere Möglichkeiten gibt, in der Sprache kein Geschlecht auszuschließen, ist niemand gezwungen, ein Sternchen (bzw. einen Doppelpunkt oder einen Unterstrich) zu schreiben oder eine Pause im Wort zu sprechen.
Sprache ist lebendig – wie auch die Gesellschaft entwickelt sie sich ständig weiter. Die deutsche Sprache enthält inzwischen viele Worte aus anderen Sprachen wie „Boutique“, „Situation“, „Montage“, …. In den letzten Jahrzehnten wurden insbesondere Worte aus dem Englischen übernommen, z.B. „Management“, „Leasing“, „Statement“, „Download“, …. Es wird nun Zeit, dass in unserer Sprache jede Person unabhängig von ihrem Geschlecht einbezogen wird und sichtbar ist. Welche Form sich in Zukunft durchsetzt, ist noch ungewiss.
Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache bedeutet ein Abbilden der Realität, eine Maßnahme gegen Diskriminierung und einen Ausdruck des Respekts.
Hintergrund-Informationen:
- https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/frauen—natuerlich—ausgenommen/
- https://www.mentorium.de/generisches—maskulinum/
Anregungen und Beispiele für geschlechtergerechte Formulierungen
- Gender-Wörterbuch: https://geschicktgendern.de/
- RWTH Aachen: Geschlechtergerechte Sprache – Handreichung: https://www.rwth-aachen.de/global/show_document.asp?id=aaaaaaaaaaamswi
Leitfaden für Bachelor-Arbeiten: https://www.mentorium.de/fuenf—gender—arten/#leitfaden—genderarten
Bild: Gerd Altmann von Pixabay
Über die Autorin: Angelika Ohse ist Diplom-Mathematikerin und Software-Entwicklerin, engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich gegen die Benachteiligung hinsichtlich des Geschlechts und der sozialen Herkunft.