Süße und bittere Früchte
Schule in der Coronakrise: mit Smartphone und Laptop. Medizin 4.0: MRT, OP-Roboter da Vinci. Energie: virtuelle Kraftwerke aus dezentralen erneuerbaren Quellen, digital vernetzt und gesteuert. Mobilität: Algorithmen für Sharing-Dienste, digitale Signaltechnik für dichtere Zugfrequenzen. Verwaltung: digitaler Zugang statt Fahrten zum Amt. Alles süße Früchte der Digitalisierung.
Also alles gut? Digitale Technologie ist nur ein Mittel, ein Werkzeug. Die Zwecke sind entscheidend – und die Folgen.
Auch tödlich-zielgenaue Drohnen-Waffen, Cyber-Kriminalität mit unzähligen Opfern, eine ausgefeilte Überwachungs-Infrastruktur, das „Social Scoring“ in China mit vernetzter Gesichtserkennung – auch das sind Früchte der Digitalisierung, die bitteren.
Hardware und Energie
Allen Früchten gemeinsam aber sind die Wachstumsbedingungen: Ob Streaming, 5G, Clouds, Big Data oder autonomes Fahren – digitale Technologie ist an immense Rechnerkapazitäten gebunden. Die Hardware ist ohne Unmengen an Rohstoffen und Energie nicht zu bekommen. Und der Strom-Durst der Anwendungen ist oft unersättlich.
Ein Beispiel: Das neue 5G-Mobilfunknetz erfordert wegen geringerer Reichweite ca. 750.000 bis 800.000 neue Sendeanlagen in Deutschland, in Orten alle 100 bis 150 m. Beim UMTS- und LTE-Netz genügten noch 60.000 Sendemasten. Alle aus Stahl, Kupfer usw.
Noch ein Beispiel: Die Blockchain-Technologie erfordert riesige Serverfarmen. Und allein die Anwendung Bitcoin verbraucht mehr Strom als die Schweiz (58 TWh/J.) – meist aus Kohle. Bitcoins sind ein globaler Klimakiller.
Das Smartphone als digitaler Zauberstab enthält ca. 60 Materialien – Kupfer, Gold, Paladium, Tantal, Indium usw. Auch Rohstoffe aus Minen mit unannehmbaren sozialen und ökologischen Bedingungen – etwa Kobalt aus dem Bürgerkriegsland Kongo. Wird so ein Handy meist nach 18 Monaten durch ein neues ersetzt, verschwindet der Elektroschrott oft in der Schublade, Rohstoffe perdu.
Und Nachhaltigkeit ist mehr als Ressourcen- und Klimaschutz, z.B. Teilhabe, Gleichstellung, Selbstbestimmung.
Wer bestimmt eigentlich die Zwecke für den Einsatz der Digitaltechnik? Wer schützt uns vor den elektromagnetischen Feldern von 5G, vor Missbrauch unserer personenbezogenen Daten, vor Ausgrenzung und Diskriminierung beim Zugang zum digitalen Paradies?
Meine Meinung
Die digitale Revolution kommt über uns. Ungefragt. Der Markt verlangt es. Privatwirtschaftliche Monopole sind innovativ, suchen Geschäftsmodelle und werben für immer neue Dienste, Apps und Produkte. Der Konsument bezahlt mit Daten, um dann personalisiert umworben zu werden.
Will ich das? Es geht ja nicht nur um Produkte, es geht auch um selektive Informationen, sogar um Wahlbeeinflussung. Ich will aber nicht nur mit meinem gespiegelten Selbst (meinem „Profil“) angesprochen werden, sondern auch noch Neues, Überraschendes entdecken…
Ich nutze einen Laptop, browse mit Firefox, e‑maile, suche mit Ecosia und telefoniere im Festnetz. Wenn ich unterwegs bin, will ich nicht gestört werden. Ein Smartphone brauche ich nicht und Facebook & Co auch nicht. Ich weiß: nicht mehr lange, dann geht ohne Handy-Apps und QR-Code nichts mehr. Corona zeigt es. Aber noch bin ich so frei…
Foto: dlohner auf Pixabay