Der Gebäudesektor verursacht laut aktuellem Gebäudereport der Deutschen Energie-Agentur (dena) mit rund 40 Prozent die meisten CO2-Emissionen in Deutschland und trägt damit maßgeblich zu Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen bei. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe müssen auch Verteilungs- und Generationengerechtigkeit adressiert und Änderungen der politischen Rahmenbedingungen erreicht werden. Wie also bewirken wir eine ganzheitliche Bauwende und eine zukunftsfähige Baukultur?
An der digitalen Veranstaltung „Umbauen statt Neubauen. Wie erreichen wir einen nachhaltigen Wandel der Baubranche?“ am 27.6.24 nahmen Menschen aus verschiedenen Bereichen teil: Architekt*innen, Vertreter*innen von Universitäten und Hochschulen, Behörden und der Politik und auch aus der Zivilgesellschaft.
Anfang des Jahres haben die A4F 10 Forderungen für eine ganzheitliche Bauwende und eine neu zu definierende Baukultur veröffentlicht, die sich an alle Baubeteiligten richtet, auf die sich die Referentin Christina Patz (auch) bezogen hat.
Sie ist Architektin und Energieberaterin, bei Architects for Future (A4F) aktiv und sieht eine zentrale Bedeutung im Weiterbauen am Bestand. So kann etwa ein wichtiger Beitrag zu sozial verträglicher Wohnraumschaffung durch Mehrfachnutzung sowie Umbauen bzw. Umnutzen geleistet werden. Das Aufstocken von Büro- und Verwaltungsgebäuden, Supermärkten, Parkhäusern sowie Wohngebäuden der 1950–70er hat großes Potenzial. Letztere haben wegen der großen Fläche und des hohen Energieverbrauchs eine besonders hohe Wirksamkeit für die Bauwende. Ein individueller Sanierungsfahrplan für Maßnahmen für jedes Gebäude für einen ganzheitlichen Ansatz könnte die Energiewende beschleunigen.
Ein Leben innerhalb planetarer Grenzen kann mittels Reduktion von Rohstoffbedarf durch Sanierungen statt Abriss/Neubau unterstützt werden. Gleichzeitig reduziert kreislauffähiges Bauen Abfall. Im besten Fall wird bereits bei der Konstruktion kreislauffähig und klimapositiv gedacht, was zusätzlich die Lebenszyklen der Gebäude verlängert. Abriss sollte kritisch hinterfragen werden und ganzheitliche Prüfung (Vergleich Lebenszyklus – Kosten und Analyse Abriss // Neubau/Umbau) obligatorisch sein. Hier ist auch die Nutzung von Leerstand von großer Bedeutung. Laut Statistik stehen etwa 1,7 Mio. Wohnungen und Eigenheime leer, die durch Erhalt und Sanierung wieder bewohnbar wären. Eine weitere wichtige Maßnahme gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, besonders in Großstädten.
Der bestehende Fachkräftemangel kann entschärft werden, wenn weniger neugebaut und stattdessen Vorhandenes klug (um)genutzt wird. Grundsätzlich kann Klimaresilienz durch Reduktion von Flächenbedarf und aktiver Entsiegelung, den Erhalt und das Schaffen von Raum für Biodiversität und einer aktiven Gestaltung von Entsiegelung und Hitzeinseln gestärkt werden.
Schon vor dem Baubeginn sollten Schulungen zu Bauen im Bestand angeboten, in Aus- und Weiterbildung Wissen geteilt werden und über Opensource-Quellen leicht verfügbar sein. Ganzheitliche Beratung auch mit Planer*innen, Handwerker*innen und in Betrieben sorgen für weitere Multiplikator*innen und die Verbreitung von relevantem Wissen.
Eine grundlegende Forderung ist die Übernahme sozialer Verantwortung, weil sie alle anderen Forderungen beinhaltet, etwa faire Arbeitsbedingungen im Büro und auf der Baustelle sowie nachhaltige Lieferketten und Materialien.
Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden diverse Themen mit der Referentin, Juliane Deppermann, der Co-Referentin und ebenfalls Architektin sowie der Moderatorin Margit Bonacker von konsalt. Kritisiert wurde etwa, dass Leerstand finanziell vorteilhafter ist als günstig zu vermieten, weil das den Wert der Immobilie senkt.
Der gemeinnützige Verein „Schrott bewahre“ setzt sich dafür ein, ausgebaute Materialen aus Altbauten wieder in Umlauf zu bringen und beklagt, dass Bauteilbörsen oft an fehlenden Lagerflächen scheitern.
Ein zentrales Thema der Diskussion war die Finanzierung nachhaltiger Sanierung. Nachhaltige Sanierung kann zu einem höheren Verkaufspreis führen. Problematisch sind hier allerdings nicht nur Handwerkermangel, hohe Materialkosten und Lieferprobleme, die zu steigenden Baukosten und kostspieligen Verzögerungen führen können. Trotz stattlicher Förderung kann sich nicht jede*r Hausbesitzer*in eine Sanierung leisten, wenn die Immobilien später nicht zu einem entsprechenden Preis verkauft werden kann.
Gefordert wurden Rahmenbedingungen für eine am Gemeinwohl orientierte Immobilienentwicklung und eine Systemwende weg von Immobilien als Geldanlage. Hier verwies die Referentin auf Margit Kennedy, eine deutsche Architektin, Ökologin, Autorin und Kapitalismus-Kritikerin.
Abschließend standen mögliche Ansatzpunkte und Projekte für Hamburg im Fokus. Etwa die Sanierung und Aufstockung beim städtischen Wohnungsbau (SAGA). In diesem Zusammenhang wurde für Wohnungsgenossenschaften das Problem der hohen Kosten für nachhaltige Sanierungsmaßnahmen identifiziert, da diese einen starken Anstieg der Quadratmeterpreise zu Folge haben.
Es wurde eine Bestandserfassung in Hamburg angeregt, die Aufschluss über den Energiebedarf geben kann. Sowie eine von der Stadt organisierte neutrale Instanz zur Steigerung der Sanierungsrate („Energiekarawane“), die aufsuchende Energieberater*innen in Gebiete mit hohem Potenzial schickt. Grundsätzlich sollte die Politik ein strategisches Vorgehen entwickeln.